Thomas Reis startete seine professionelle Trainerkarriere beim VfL Bochum und durchlief über die Jahre mehrere Funktionen, darunter Co-Trainer der Lizenzmannschaft sowie Cheftrainer der zweiten Mannschaft und der U-19. Zur Saison 2016/17 schloss sich Reis der U19 des VfL Wolfsburg an und wurde zweimal Meister der U-19 Bundesliga Nord/Nordost. Im September 2019 wechselte Reis als Cheftrainer zum damaligen Zweitligisten VfL Bochum. In seiner zweiten Saison schaffte er den Aufstieg in die Bundesliga und feierte im Folgejahr den Klassenerhalt. Zwischen Oktober 2022 und September 2023 trainierte Reis Schalke 04. Seit Sommer ist Thomas Reis bei Samsunspor und mischt die türkische Liga auf. Mit uns hat er über seine Spielweise, die Unterschiede zwischen dem deutschen und türkischen Fußball sowie den Gründen für seinen Aufschwung mit Samsunspor gesprochen!
In der laufenden Spielzeit liegt Reis mit Samsunspor nach zwölf Spielen auf dem 3. Tabellenplatz mit 25 Punkten. Reis stellt dabei mit 24 geschossenen Toren und einem XG-Wert von 1,62 - Platz 4 im Ligavergleich - eine der besten Offensiven der Liga. Aber auch defensiv läuft es für Samsunspor - dreizehn Gegentore und ein XG Against von 1,13 bedeuten Top 5 Platzierungen im Ligaranking. Seine Indices liegen in der Saison 2024/25 allesamt auf einem positiven Niveau. Sein Expectation Index von 8/10 bedeutet, dass er bessere Ergebnisse erzielt, als zu erwarten sind. Im Bereich der Spieldaten hat Reis die Performance seiner Mannschaft verbessert, das zeigt der Development Index (6,7/10). Der Change Index liegt bei 10/10 - seine Wechsel-Entscheidungen haben einen positiven Einfluss auf das Spielergebnis. Im Bild sieht man die Daten aus der laufenden Saison mit dem jeweiligen Platz im Ligavergleich.
Deine Spielweise ist gekennzeichnet durch hohes und intensives Pressing. Damit bist du mit Bochum in die Bundesliga aufgestiegen und hast die Spielweise beibehalten. Derzeit stellst du bei einem Punkteschnitt von 2,08 Punkten pro Spiel die drittbeste Offensive (24 Tore) und die fünftbeste Defensive (13 Gegentore) der Süper Lig. Warum passt deine Spielweise in die Türkei?
Thomas Reis: Ich denke meine Spielweise passt eigentlich ganz gut hier hin, weil man die Spielertypen hat, die das gerne machen möchten, die absolutes Vertrauen haben. Das hat in der Vorbereitung ein bisschen Zeit gebraucht, wo auch ein bis zwei Ergebnisse nicht so gestimmt haben. Danach hat man dann schon gesehen, dass die Jungs das verinnerlichen, hohes Pressing zu spielen. Man versucht ja auch zu sagen, wenn wir hohe Ballgewinne haben, ist der Weg zum Tor des Gegners relativ kurz. Ich denke, dass in der Türkei viele Trainer schon Wert darauf legen, mehr in der in der Tiefe zu stehen. Um dann nicht ausgekontert zu werden, muss man nicht nur aggressiv pressen, um den Gegner vielleicht nicht so ins Spiel kommen zu lassen, sondern auch im Ballbesitz eine gute Restverteidigung haben. Wichtig ist, dass man das Spielermaterial dafür hat und das habe ich trotz Transfersperre und deswegen denke ich, dass diese aggressive Spielweise ganz gut hier hin passt. Ich fühle mich selber, obwohl ich Abwehrspieler war, in so einer aggressiven Weise sehr wohl. Wichtig ist, dass die Mannschaft daran glaubt, denn sonst hast du als Trainer auch wenig Möglichkeiten.
Welche Unterschiede zum deutschen Fußball hast du in der Türkei festgestellt?
Thomas Reis: Ich denke, dass die individuelle Qualität in Deutschland höher ist, obwohl hier in der Türkei natürlich auch bei den großen Mannschaften individuelle Spieler eine richtig gute Qualität haben. Letztendlich ist das Spiel hier sehr körperbetont, es werden sehr viele Fouls provoziert, es wird sehr lange liegen blieben. Auch bei Einwürfen und Eckbällen versucht man nach einer Führung schon auf Zeit zu spielen. Das ist schon so ein gravierender Unterschied. Aber allein die körperliche Präsenz von den Zweikämpfen her finde ich hier ein bisschen mehr als in Deutschland. Wir versuchen dann so einen Switch zu finden, dass wir mit unseren spielerischen Mitteln den Gegner vor Aufgaben stellen. Aber das ist schon ein sehr großer Unterschied in Bezug auf körperbetontes Spiel. Wir versuchen durch Durchlaufleistung und hohe Sprintbereitschaft unser Bestes daraus zu machen, weil wir individuell mit Sicherheit nicht so besetzt sind, wie viele andere Mannschaften, aber dafür eine mannschaftliche Geschlossenheit haben.
Letzte Saison hat Samsunspor lange gegen den Abstieg gekämpft. Dein Expectation Index in der laufenden Saison mit Samsunspor von 8/10 sagt aus, dass du über den Erwartungen performst - und das trotz einer Transfersperre im Sommer. Hast du das Potential bei deinem Amtsantritt gesehen, oder bist du selbst über die bislang sehr starke Saison überrascht?
Thomas Reis: Als dann der Kontakt zu Samsunspor entstanden ist, habe ich mich mit den Spielen beschäftigt. Markus Gisdol war ja mein Vorgänger, der mit Samsunspor auch sensationell in der schwierigen Phase die Liga gehalten hat. Er hat mehr andere taktische Dinge verlangt, mehr lange Bälle zu spielen, weil anscheinend doch sehr viele Fehler gemacht wurden, was den Spielaufbau anbelangt. Er hat sehr viel mit langen Bällen operiert, auf den zweiten Ball zu gehen, was dann letztendlich erfolgreich war. Für mich war von Anfang an klar, die Spiele, die ich gesehen habe - man kann das auch immer nur in Nuancen sehen - dass auch spielerische Möglichkeiten da sind, wo man auch ein spielstarkes Mittelfeld hat, wo die Jungs Fußball spielen wollen. Das habe ich von Anfang an versucht rüberzubringen und das hat sehr gut geklappt. Wie gesagt, in der Vorbereitungen hat es ein bisschen gedauert, weil man doch mehr oder weniger Baustein für Baustein zusammenfügen musste. Die Transfersperre war klar, wir haben Spieler verloren, die letzte Saison noch hier waren. Es sind keine neuen Spieler dazugekommen, sprich höchstens ausgeliehene Spieler, die zurückgekommen sind, oder Jugendspieler. Aber was sensationell ist, was ich in der Weise noch nie erlebt habe, ist die mannschaftliche Geschlossenheit. Der Charakter der Mannschaft, klar will jeder spielen, aber das ist ein Team auf dem Platz. Die Kapitänswahl war mir auch wichtig. Ich habe zwei türkischen Spieler, die Kapitäne sind, und auch zwei ausländische Spieler, sodass im Zusammenfügen vieler ausländischer Mentalitäten plus die türkischen Spieler sich jeder wiederfindet. Ich lege da auch sehr viel Wert darauf und habe die Unterstützung meiner Kapitäne, die dann versuchen am Anfang vielleicht Dinge, die aufploppen könnten, frühzeitig zu entschärfen. Wir performen über, ja, das ist richtig. Die Jungs glauben einfach dran, wir haben super Comeback-Qualitäten, wir sind athletisch sehr gut. Die Erfolge kamen zustande, weil wir nach Rückstanden zurückgekommen sind und Spiele gewonnen haben. Ich finde es sehr gut, obwohl wir mit als einer der Absteiger gegolten haben. Wir sind aber noch lange nicht gerettet. Ich möchte auch nur von Spiel zu Spiel schauen, das versuche ich auch immer allen mitzuteilen, dass es so am besten ist und wir dann schauen, was am Ende rauskommt. Mein Auftrag ist es, die Liga zu halten. Es ist diese Saison noch eine Spur schwerer, weil durch das damalige Erdbeben in der Türkei keiner der 20 Mannschaften abgestiegen ist. Jetzt wollen sie nach und nach wieder auf 18 Mannschaften zurück. Sprich wir sind mit 19 Mannschaften in die Liga gestartet, es steigen trotzdem vier ab. Also ist das Ganze noch etwas schwieriger und ich hoffe, dass es auch mit den Schiedsrichtern vernünftig läuft, auch da hat man einiges gehört. Wir haben jetzt in Galatasaray schon eine leichte Erfahrung mal mitgemacht, aber ich hoffe, dass das alles sauber abläuft und wir dann unsere Ziele erreichen. Und je nachdem, vielleicht springt noch ein bisschen mehr raus.
Vielen Dank, Thomas, für deine Zeit und viel Erfolg im weiteren Saisonverlauf!
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